Wir alle können Gutes tun
Ehrenamt ist weit mehr als Ehrensache

Im Dienst der Gemeinschaft
Ob bei Müllsammelaktionen, im Tierschutz oder Rettungsdienst – in Deutschland sind Millionen Menschen ehrenamtlich tätig und nutzen ihre Freizeit, um anderen zu helfen, oder setzen sich für den Erhalt unserer Umwelt ein. Fakt ist: Ohne die zahlreichen Ehrenamtlichen wäre unsere Gesellschaft eine andere.
Die vielen Facetten des Ehrenamts helfen uns allen in Deutschland weiter – von Klein bis Groß. 1. Engagierte verpacken Lebensmittel und Kleidung für die Ukraine. 2. Der jährliche Weltaufräumtag im September findet immer mehr freiwillige Helfer. 3. Ein Mann mit Downsyndrom freut sich über Unterstützung im Alltag. 4. Sport im Verein wäre ohne Ehrenamt nicht möglich. 5. Unter dem Motto „Für Mensch und Natur“ sind über 70.000 Menschen für den NABU im Einsatz.
Freiwillig und ohne Bezahlung Müll einsammeln, den andere achtlos in der Natur liegen gelassen haben? Umweltorganisationen, Städte und Gemeinden rufen regelmäßig zu Müllsammelaktionen auf. Zum Beispiel am „World Cleanup Day“, dem „Weltaufräumtag“, der seit 2018 jedes Jahr im September stattfindet. Dabei entsorgten 2021 laut Angaben der Initiatoren rund 14 Millionen Menschen weltweit etwa 53.000 Tonnen Müll aus der Natur. Fast 30 Millionen Menschen in Deutschland sind ehrenamtlich aktiv – in unterschiedlichsten Bereichen. Aber was bewegt gerade junge Leute dazu, sich aus freien Stücken und ohne Bezahlung für eine bestimmte Sache einzusetzen? Welche Möglichkeiten hat man als Freiwilliger? Was muss man beachten? Und wie stünde es um die Gesellschaft, wenn es kein Ehrenamt gäbe?
Hilfe für die Ukraine
Als russische Truppen am 24. Februar 2022 in die Ukraine einmarschieren, ist die Sache für Dima Pukha schnell klar: Der gebürtige Ukrainer, der seit 16 Jahren in Deutschland lebt, will seinen Landsleuten zur Seite stehen – und das mit vollem Einsatz. Zum Beispiel im Verbund „Ukraine engagiert“, in dem sich im März 2022 die Bürgerstiftung Stuttgart und die Stadtverwaltung sowie ukrainische Vereine und Freiwillige zusammenschlossen, um Geflüchteten aus der Ukraine in Stuttgart die Ankunft zu erleichtern, ihnen zu helfen, das Erlebte zu verarbeiten. „Am Anfang richtete der Verbund ‚Ukraine engagiert‘ eine zentrale Hotline für Geflüchtete ein, über die wir wichtige Fragen beantworten konnten: An wen wende ich mich nach der Ankunft? Wie finde ich eine Unterkunft? Wie steht es mit Sozialleistungen oder Arbeit“, erzählt Dima. „Nicht jeder spricht Englisch, deshalb war es wichtig, viele Muttersprachler in der Hotline zu haben.“ Wichtig, meint der 34-jährige IT-Berater, sei aber neben der telefonischen Beratung die Hilfe vor Ort in den Unterkünften seiner geflüchteten Landsleute gewesen. „Die Menschen haben so viele Fragen – gerade in einer solchen Extremsituation ist persönlicher Kontakt wichtig.“
Ehrenamt in Deutschland schwer bezifferbar

Wie Dima sind viele Menschen in Deutschland ehrenamtlich tätig. Insgesamt übten 2019 fast 40 Prozent der deutschen Bevölkerung im Alter ab 14 Jahren mindestens eine Freiwilligentätigkeit aus. Hochgerechnet waren das rund 29 Millionen Bundesbürger. Das zeigt der 5. Freiwilligensurvey, die größte repräsentative Bevölkerungsbefragung zum freiwilligen Engagement in Deutschland, die alle fünf Jahre im Auftrag des Bundesfamilienministeriums durchgeführt wird. Eine gesetzliche Definition von Ehrenamt gibt es nicht. Häufig bezeichnet man dieses auch als bürgerschaftliches Engagement oder Freiwilligenarbeit. Unter den letzten Begriff fallen auch Dienste, die Menschen im Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ), im Freiwilligen Ökologischen Jahr (FÖJ) oder im Bundesfreiwilligendienst (BFD) leisten.
Ja, ich will mich auch engagieren

Ehrenamtliches Engagement hilft aber nicht nur denjenigen, denen es zugutekommt, und gibt den freiwilligen Helfern ein gutes Gefühl. Auch für unsere Gesellschaft spielt das Ehrenamt eine wichtige Rolle. Das Bundesinnenministerium schreibt dem Ehrenamt auf seiner Website „eine große Bedeutung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ebenso wie für die Stärkung demokratischer Werte und Haltungen“ zu. Es sei „unerlässlich für individuelle Teilhabe, gesellschaftliche Integration, Wohlstand, das kulturelle Leben, stabile demokratische Strukturen und soziale Bindungen“. Und tatsächlich: Ohne die vielen Freiwilligen wäre unser Land ein anderes. Bei einem Brand käme womöglich niemand, um das Feuer zu löschen. Bedürftige hätten noch weniger zu essen, Obdachlose kaum einen Zufluchtsort und benachteiligte Kinder noch weniger sozialen Halt. Die Umwelt wäre noch vermüllter. Viele alte Menschen wären einsamer, Sterbende öfter allein. Und sogar eine Wahl durchzuführen dürfte ohne Freiwillige, die die Stimmzettel auszählen, ein schwieriges Unterfangen werden. Neben der gesellschaftlichen kommt dem Ehrenamt aber auch eine wirtschaftliche Bedeutung zu. Zwar fließen unbezahlte Tätigkeiten, zu denen auch das Ehrenamt zählt, nicht in die Berechnung des Bruttoinlandsprodukts ein. Schätzungen des Deutschen Zentrums für Altersfragen zufolge hat aber allein die Betreuung von Enkeln durch ihre Großeltern einen wirtschaftlichen Wert von fast 18 Milliarden Euro pro Jahr.
Typisch deutsch?

Ehrenamtliche Arbeit spielt nicht nur in Deutschland eine wichtige Rolle. Auch in anderen Ländern baut man im sozialen Bereich, im Sport oder in der Kultur auf freiwillige Helfer. Vor allem in den Niederlanden, Österreich, Schweden und in Großbritannien sind mit mehr als 40 Prozent der Erwachsenen besonders viele Menschen ehrenamtlich tätig. Am niedrigsten ist die Engagement-Quote in Europa mit weniger als zehn Prozent in Bulgarien, Griechenland, Italien und Litauen. Um die Bedeutung des Ehrenamts zu unterstreichen und die freiwillige Arbeit zu würdigen, wird seit 1986 weltweit am 5. Dezember der Internationale Tag des Ehrenamts gefeiert. Zugleich erhalten an diesem Tag Freiwillige, Initiativen, Unternehmen oder öffentliche Verwaltungen den Deutschen Engagementpreis, den das Bündnis für Gemeinnützigkeit 2009 ins Leben gerufen hat (www.deutscher-engagementpreis.de). Auszeichnungen gibt es auch bei verschiedenen anderen Ehrenamtspreisen, die beispielsweise von den Bundesländern, Städten oder Gemeinden vergeben werden.
Worauf sollte man beim Ehrenamt achten?

Neben dem Wissen, etwas Sinnvolles zu tun, haben Ehrenamtliche häufig die Möglichkeit, Neues auszuprobieren und sich beruflich wie persönlich weiterzuentwickeln. Außerdem werden Menschen, die sich sozial engagieren, beispielsweise bei der Vergabe von Stipendien eher berücksichtigt. Wer gerne ein Ehrenamt ausüben möchte, sollte sich zunächst darüber klar werden, in welchem Bereich er sich engagieren möchte. Unterstützung bei der Suche nach dem passenden Ehrenamt liefert zum Beispiel die Website www.ehrenamtcheck.de. Berufstätige, die ein Ehrenamt übernehmen möchten, sollten ihren Arbeitgeber darüber informieren. Denn in der Regel müssen Nebentätigkeiten angezeigt werden. Verbieten darf der Arbeitgeber die freiwillige Arbeit aber nur im Ausnahmefall, zum Beispiel, wenn sie den Ruf des Unternehmens gefährdet oder firmeneigenen Interessen entgegensteht. Empfehlenswert ist auch: vor dem Start in ein Engagement beim jeweiligen Verein oder Projektträger, für den man aktiv werden möchte, unbedingt nach dem bestehenden Versicherungsschutz erkundigen. Meist versichern Vereine und Non-Profit- Organisationen ihre Ehrenamtlichen gegen Unfall- und Haftpflichtschäden. Wichtig ist auch, sich zu überlegen, wie viel Zeit man in das Ehrenamt investieren kann und will und ob es ein zeitlich begrenztes oder dauerhaftes Engagement sein soll. Wer zum Beispiel nur hin und wieder helfen will, Abfall in der Natur einzusammeln, aber auch sonst gerne etwas Sinnvolles tun möchte, kann einen Teil seiner Zeit auch in ein anderes Ehrenamt investieren. Denn jedes Engagement hilft – den Menschen und der Gesellschaft.
Von Freunden für Freunde

Neben der direkten Vor-Ort-Hilfe läuft allerdings auch im Ehrenamt immer mehr virtuell – gerade im Zuge der Corona-Pandemie. Die 25-jährige Hyeonij engagiert sich beim Verein „Start with a friend“, der helfen will, durch Begegnungen zwischen Menschen mit und ohne Einwanderungsgeschichte Vorurteile abzubauen und soziale Netzwerke zu stärken. „Als ich für mein Studium aus Korea nach Deutschland kam, habe ich selbst erfahren, wie es sich anfühlt fremd zu sein, eine neue Kultur kennenzulernen, Vertrautes hinter sich zu lassen“, erzählt sie. „Als ich dann auf Start with a friend aufmerksam wurde, war ich sofort begeistert von der Idee, anderen beim Einleben zu helfen.“
Der Kontakt zu Start with a friend war schnell hergestellt, eine Tandempartnerin für Hyeonij rasch gefunden. Die erste Begegnung mit der 31-jährigen Kübra, die aus der Türkei stammt und eine Ausbildung zur Erzieherin macht, war digital. „Trotzdem hat es gleich zwischen uns gepasst und wir wussten, dass wir uns gut verstehen würden“, freut sich Hyeonij. Inzwischen haben die beiden Frauen samt ihren Partnern auch im echten Leben bereits einiges zusammen unternommen. Und für Kübra war es jedes Mal „als ob sich Freunde treffen“.